Alfredo Bauer ist gestorben.
Erinnerungen an einen antifaschistischen Schriftsteller und engagierten Arzt in Buenos Aires
1989 weilte ich während eines Studienaufenthaltes das erste Mal in Buenos Aires. Damals bestand noch die DDR, aber Honecker war bereits zurückgetreten. Mein Freund Pieter Siemsen hatte mir in Berlin im Vorfeld meiner Reise mehrere Adressen von seiner Familie und Freunden aus der Zeit seiner Emigration in Argentinien gegeben, die ich aufsuchen sollte. Darunter war auch Alfredo Bauer, der Arzt und Schriftsteller, mit dem ihn eine tiefe, oft widerspruchsvolle Freundschaft verband. Sie stammte aus seiner Zeit in der argentinischen Emigration während der 1940er Jahre, als sein Vater August Siemsen in Argentinien im Verein „Vorwärts“ arbeitete und die Zeitschrift „Das andere Deutschland“ gründete.
In Buenos Aires angekommen, wendete ich mich nur zögerlich an die Freunde von Pieter, denn schließlich kannte ich diese Leute nicht und sie mich ebenso wenig. Ich wollte sie nicht stören. Schließlich fasste ich mir ein Herz und rief Alfredo Bauer an. Schon am Telefon begrüßte mich eine sehr freundliche Stimme und zerstreute all meine Bedenken. Alfredo freute sich riesig, von seinem Freund Pieter zu hören, und lud mich sehr herzlich zu sich nach Hause ein. Ich nahm an. Als ich zu ihm kam, war der Tisch in der Veranda gedeckt. Er hatte eine zugewandte und lustige Art zu sprechen. Seine österreichische Liebenswürdigkeit und sein jüdischer Witz amüsierten mich vom ersten Augenblick an. Man musste ihn einfach gern haben. Alfredo stellte mir seine Frau Gerti vor, die ebenso freundlich wie er war und sich trotz ihres Alters sehr grazil bewegte. Sie war Tänzerin. Später kam noch sein ältester Sohn. Alfredo erzählte mir von seinem Leben und seinen Büchern. Wir diskutierten viel, besonders über die Ereignisse in der DDR. Er wollte meine Meinung zu den politischen Prozessen damals im Herbst 1989 wissen. Ihn überraschten die Ereignisse in der DDR einerseits, doch andrerseits war er weniger überrascht als ich, da er mit seinem kritischen Fernblick schon einiges geahnt hatte. Alfredo war zwar traurig, aber nicht deprimiert, sondern sah, entsprechend seines unschlagbaren Optimismus´, eine Herausforderung in dem Geschehenen: Bei der nächsten Revolution sind wir klüger und dann klappt es bestimmt. Nach dem Treffen bei Alfredo entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft zwischen uns, die sich in mehreren Besuchen dort wie hier in Deutschland fortsetzte.
Damals nach dem ersten Besuch bei Alfredo in Buenos Aires 1989 organisierte er ein Treffen mit dem „Ateneo Argentino Alejandro Humboldt“, eine Organisation deutscher in Argentinien lebender Emigranten, die wegen rassischer und politischer Verfolgung durch die Nazis nach Argentinien gekommen waren und geblieben sind. Alfredo Bauer leitete diese Organisation, die sich besonders dem Kulturaustausch mit der DDR widmete. Im Ateneo Humboldt sollte ich über die Ereignisse in der DDR sprechen und diese erklären. Alfredo saß im Präsidium neben mir und das beruhigte mich sehr, denn oftmals konnte ich die Fragen der zahlreich erschienen Anwesenden nicht beantworten, da sich die Ereignisse während meines Aufenthalts in Argentinien überschlugen. Inzwischen war die Mauer gefallen und man wollte von mir umfassende Begründungen. Doch auch ich war überrollt wie die argentinischen Freunde und wusste nicht viel mehr als diejenigen, die jahrzehntelang weit weg von Deutschland waren. Alfredo stellte schließlich grundsätzliche Fragen, was man vom Sozialismus erwarte und wie diese Frage mit den Ereignissen in der DDR zusammenhängen könnte. Sein unschlagbarer Optimismus rettete mich. Immer wieder, wenn ich über das Ende der DDR nachdenke, erinnere ich mich an diese Diskussion im Ateneo und an Alfredo Bauer in Buenos Aires, weit weg von zu Hause, doch schon damals sehr aufschlussreich aus der Ferne, mit so viel Verständnis und Weisheit.
Nun erreichte mich die Nachricht vom Tod von Alfredo Bauer, nachdem ich eine Weile nichts mehr von ihm gehört hatte. Er ist am 21. Mai in einer Herzklinik in Buenos Aires im Alter von 91 Jahren gestorben. Ein arbeitsames und ausgesprochen kreatives Leben ist zu Ende gegangen. Alfredo Bauer hat uns ein reiches Erbe hinterlassen und diejenigen, die ihn kennen, werden sein Bild immer mit sich und seine Bücher im Herzen tragen. Alfredo war Arzt, Schriftsteller und politischer Aktivist. Er praktizierte noch damals, als ich ihn kennen lernte und er schon in einem Alter war, in dem sich andere zur Ruhe setzen. Ruhe passte nicht zu ihm. Er praktizierte noch bis ins hohe Alter und schrieb bis zu seinem 91. Lebensjahr.
Alfredo Bauer wurde am 14. November 1924 in Wien in einer jüdischen Familie, als Sohn eines Kaufmanns und einer Pharmazeutin geboren und besuchte dort die Volks-
Nach Beendigung der Pestalozzi-
Die ersten literarischen Arbeiten von Alfredo Bauer waren 1944 Kleintheaterstücke für das von Walter Jacob gegründete deutschsprachige Theater „Freie Deutsche Bühne“, das überwiegend von Emigranten bespielt und besucht wurde. In dieser Zeit schrieb er auch für das „Argentinische Tageblatt“. Als ihm das Tagebuch seines Großvaters, der 1848 in der bürgerlich-
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges dachte Alfredo Bauer mehrmals darüber nach, nach Europa zurück zu gehen. Er nahm mit Selbstverständlichkeit an, dass in Österreich und Deutschland die sozialistische Idee nach der Katastrophe der faschistischen Barbarei Fuß fassen würde. Doch mit der Zeit sah er, dass sich eine andere Entwicklung auftat und zögerte. Auch hatte er sich inzwischen familiär gebunden. 1952 heiratete er die aus Österreich stammende Kitty Eggerer, mit der er drei Kinder hatte. Seine Frau Kitty starb 1984. 1988 heiratete Alfredo zum zweiten Mal. Seine Frau wurde die ebenfalls aus Österreich stammende Tänzerin Gerti Neumann. Als Jude nach Israel zu gehen, kam ihm nie in den Sinn. Er sagte 2014 in einem Interview: „Ich war selbstverständlich für die Gründung Israels als Exil für die Entwurzelten, aber der Zionismus als Idee war mir nicht nur fremd, sondern – im ideologischen Sinne und ohne Hass gegen diejenigen, die dieser Idee anhängen – immer eine feindliche Strömung für mich.“ 1
Zwischen 1976 und 1983 erlebte Alfredo Bauer das zweite Mal in seinem Leben eine Diktatur, dieses Mal die argentinische Militärdiktatur. Obwohl er durch seine guten Beziehungen zur DDR-
Alfredo Bauer schöpfte mit den sozialen Protesten 2001 und 2002 in Argentinien und der Regierungsübernahme durch demokratische Regierungen in Argentinien und den südamerikanischen Nachbarländern neue Hoffnungen. Besonders Cristina Kirchner verehrte er sehr. Er hatte die Erwartung, dass sich die neuen südamerikanischen Demokratien zusammenschließen und auf diese Weise gerechtere Gesellschaften errichten könnten.
Gegenüber seinem Heimatland Österreich hatte Alfredo Bauer ein gespaltenes Verhältnis. 1957 besuchte er das erste Mal nach dem Krieg wieder seine Heimatstadt Wien. Er wurde dort kaum wahrgenommen. Später wurde Alfredo Bauer wegen seiner Kritik an Heinrich Rüdiger Starhemberg in Österreich wegen Verleumdung vom Landesgericht St. Pölten verklagt. Heinrich Rüdiger von Starhemberg war Sohn des Fürsten Ernst Rüdiger von Starhemberg aus Oberösterreich, der Führer der austrofaschistischen „Heimwehrbewegung“2 gewesen war. Heinrich Rüdiger von Starhemberg verteidigte nach dem Krieg konservative Ideen und auf einer Veranstaltung in Argentinien verurteilte er die Enteignungsmaßnahmen des Großgrundbesitzes seiner Familie in herabwürdigender Weise. Alfredo Bauer schrieb einen Gegenartikel im „argentinischen Tageblatt“, der dann vom „Standard“ in Österreich nachgedruckt wurde. Und nun verklagte Starhemberg den „Standard“ und Bauer wegen Verleumdung. Auf Verleumdung kann man in Österreich zu einer Monate-
Die andere Seite des Verhältnisses von Alfredo Bauer zu Österreich war durch Verbindungen zu österreichischen Freunden geprägt, mit denen er einen sehr kreativen und herzlichen Austausch hatte. Dazu gehörte in erster Linie der Schriftsteller Erich Hackl, der u.a. über lateinamerikanische und europäische Diktaturen schreibt, und mit dem Alfredo Bauer seit 1987 verbunden war. Es freute Alfredo Bauer sehr, dass er, besonders durch die Unterstützung von Erich Hackl, in den letzten zwei Jahrzehnten in Österreich als Schriftsteller und speziell Exilschriftsteller stärker wahrgenommen wurde. Eine Reihe seiner Bücher wurden von der Theodor Kramer Gesellschaft herausgegeben, er erhielt den Kramer-
Zwei Ereignisse kurz vor seinem Tod waren schmerzvoll enttäuschend für ihn und stellten seinen Optimismus auf eine harte, wenn nicht zu harte Probe: Die Angriffe auf die links-
Alfredo Bauer wurde 1982 und 1991 mit der Ehrenschleife "Faja de Honor" des Argentinischen Schriftstellerverbandes ausgezeichnet. Er erhielt 1987 den Jakob-
Am 25.Mai 2016 wurde Alfredo Bauer auf einem Friedhof in Buenos Aires beigesetzt.
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1 Interview mit Gerd Eisenbürger: Der rassisch Verfolgte hielt sich für minderwertig. In: ila 154. April 1992.
2 Großmann, Johannes: Die Internationale der Konservativen. Transnationale Elitenzirkel und private Außenpolitik in Westeuropa seit 1945. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2014: 364.
3 Interview mit Erhard Strackl am 23.10.2009.